Sonntag, 21. Februar 2016

BTHG – Zukunft der Werkstätten? Entwurf des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) erarbeitet





BTHG – Zukunft der Werkstätten?  Entwurf des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) erarbeitet

Blogbeitrag von Gerd Hoßbach  
(Geschäftsführender Vorstand Werraland Werkstätten e.V., Vorsitzender des Beitrates der Europa-Akademie)


Bisher ist es nicht veröffentlicht, aber das neue BTHG wird wohl kommen. Zurzeit liegt ein Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vor.

Die Diskussionen mit den Fachverbänden und entsprechenden sozialpolitischen Gremien stehen aus.
Im Mai dieses Jahres, so verkünden „Insider“, soll das BTHG zur ersten Lesung in den Bundestag. Wer hätte das zu diesem Zeitpunkt vermutet – es war „still geworden“ in den letzten Monaten in dieser Fragestellung.

Im Rahmen der letzten Werkstätten:Messe 2015 hatte Ministerin Andrea Nahles diese Zeitschiene für das BTHG genannt. Von vielen ob dieses kurzen Zeitfensters belächelt, scheint die Ministerin sich an ihren „Fahrplan“ halten zu wollen. Im Jahr 2017 soll ein die sozialrechtliche Landschaft stark veränderndes neues Bundesteilhabegesetz kommen.

Es ist noch nicht deutlich, welche Inhalte und Rahmenbedingungen für die Leistungserbringer den zukünftigen Rahmen setzen.

Nur so viel: Das BTHG stellt vieles in Frage.

Die Intensionen zum einen, die UNBRK und zum anderen die kontinuierlich steigenden Kosten der Eingliederungshilfe bilden ein schwieriges Umfeld für eventuelle Verbesserungen der Lebens- und Arbeitssituation behinderter Menschen in unserem Land.

Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) der Länder hat in einem einstimmigen mehrjährigen Diskussionsprozess diesen Gesetzentwurf vorbereitet.
Im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode haben die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD sich auf ein neues Gesetz, BTHG, auf dem Hintergrund der UNBRK und fiskalischer „Notwendigkeiten“ verständigt.

Die Koalitionsparteien haben sich darauf verständigt, die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu begleiten und so die Beschäftigungssituation nachhaltig zu verbessern.

Der Übergang zwischen Werkstätten für Menschen mit Behinderung und dem ersten Arbeitsmarkt soll erleichtert, Rückkehrrechte garantiert und die Erfahrungen mit dem „Budget für Arbeit“ einbezogen werden.

In den nächsten Ausgaben des Europa-Akademie-Newsletter werden wir Sie mit den Kernaussagen des Entwurfes aus dem BTHG konfrontieren.

Wir beginnen heute mit § 60 (im Entwurf BTHG)

Andere Leistungsanbieter (… zitiert aus dem Entwurf):

(1) „Menschen mit Behinderungen, die Anspruch auf Leistungen nach § 57, 58, haben, können diese auch bei einem anderen Leistungsanbieter in Anspruch nehmen.“

(2) „Bei anderen Leistungsanbietern gelten die für Werkstätten für behinderte Menschen geltenden Vorschriften mit folgenden Maßgaben:

Andere Leistungsanbieter

1) bedürfen nicht der förmlichen Anerkennung
2) müssen nicht über eine Mindestplatzzahl und die für die Erbringung der Leistungen in Werkstätten erforderliche räumliche und sächliche Ausstattung verfügen,
3) können ihr Angebot auf Leistung nach (§§ 57 oder 58) oder Teile solcher Leistungen beschränken,
4) sind nicht verpflichtet, leistungsberechtigten Menschen mit Behinderung Leistungen nach (§§ 57 oder 58) zu erbringen, wenn und solange die Leistungsvoraussetzungen vorliegen.“

(3) „Eine Verpflichtung des Leistungsträgers, Leistungen durch andere Leistungsanbieter zu ermöglichen, besteht nicht.“

°  Andere Leistungsanbieter als Alternative zur Werkstatt?
°  Das Wunsch- und Wahlrecht für behinderte Menschen wird erweitert?
°  Wer fragt nach der Qualität der Dienstleistungsangebote?
°  … und andere Fragen …

Diskutieren Sie mit uns!




Was ist Ihre Meinung zum geplanten BTHG?

Was erwarten Sie von den beschriebenen Änderungen?
 

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Was lange währt wird ...
Ca. 280.000 Werkstattmitarbeiter sind im Arbeitsbereich der 730 WfbM tätig. Bis zu 5% davon könnten im allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden und mittelfristig den Anforderungen und dem Arbeitstempo entsprechen - wenn die Rahmenbedingungen stimmen und ein angemessener Minderleistungsausgleich lebenslang gezahlt wird. Allerdings treten die Werkstattmitarbeiter in Konkurrenz zu 2.911.000 Arbeitslosen (darunter 180.000 Schwerbehinderte). Das Budget für Arbeit soll bis zu 75% der WfbM-Kosten plus Kosten für Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz umfassen. Das wäre prima. Der individuelle Bedarf nach § 115 BTHG muss bundeseinheitlich ermittelt und dafür die gleiche Leistung gewährt werden. Eine Regionalisierung der Leistung durch Rechtsverordnung der Länder ist inakzeptabel. Die Qualität bei anderen Anbietern ist durch die Agentur für Arbeit zu gewährleisten – vgl. AZAV-Zertifizierung Berufsbildungsbereich der WfbM. Das BTHG eröffnet damit einerseits mehr Wahlfreiheit für Teilhabe im allgemeinen Arbeitsmarkt und gewährleistet andererseits die Teilhabe am Arbeitsleben in WfbM – das ist gut.
Christoph Schnabel, Bereichsleiter, WfbM Diakonie am Thonberg, Leipzig

Anonym hat gesagt…

Lieber Herr Schnabel,
ich möchte Ihnen in zwei Dingen widersprechen. Zum einen darin, dass Werkstattbeschäftigte bei einer Vermittlung auf den Arbeitsmarkt die betriebsüblichen Anforderungen und das Arbeitstempo erfüllen müssen, dass von anderen Beschäftigten verlangt wird. Für eine Minderleistung erhält der Arbeitgeber ja gerade den Minderleistungsausgleich. Zum anderen ist es nicht richtig, dass Werkstattmitarbeiter mit den drei Millionen Arbeitslosen konkurrieren. Werkstattbeschäftigten müssen sich nicht den üblichen Bewerberverfahren unterziehen, bei dem sie in der Tat kaum eine Chance hätten. Ihre Vermittlung gelingt vielmehr mit dem Modell der Unterstützten Beschäftigung. Es umgeht die Stellenausschreibungen und sucht über individuelle Absprachen mit dem Betrieb eine passgenaue Tätigkeit. Die Betriebe müssen die Beschäftigten nicht selber einarbeiten und sind im Krisenfall mit dem Problem nicht allein. Sie zahlen die Leistung, die der Beschäftigte tatsächlich erbringt. Das Ganze ist also eine „Vermittlung durch die Hintertür“.
Wie erfolgreich dieses Vorgehen sein kann, beweist die Hamburger Arbeitsassistenz. Sie hat in über 20 Jahren ca. 20% der Werkstattberechtigten mit geistiger Behinderung in Hamburg in tariflich entlohnte Arbeit vermittelt, die meisten von ihnen sogar ohne eine dauerhafte Lohnkostensubvention. Das zeigt auch, dass Sie mit ihrer Prognose einer möglichen Vermittlungsquote von 5 % zu niedrig liegen. In Hamburg können die Werkstätten mit dieser Konkurrenz gut leben.
Warum Sie auf einer bundeseinheitlichen Regelung beim Lohnkostenzuschuss im Budget für Arbeit bestehen, ist mir unklar. Wenn Hamburg mehr Lohnkosten übernimmt als Sachsen, werden Ihre Beschäftigten kaum von Leipzig nach Hamburg ziehen. Mir macht mehr Sorge, dass der Gesetzgeber die Leistungsträger beim Budget für Arbeit und bei den anderen Anbietern ermächtigt, Leistungen ohne weitere Begründung nicht zu gewähren. Das erscheint mir willkürlich und steht der intendierten Wahlfreiheit entgegen.
Ansonsten stimme ich mit Ihnen überein, dass die Neuregelungen für die berufliche Teilhabe im BTHG ein Schritt nach vorne sind. Wie sich auswirken, werden die nächsten Jahre zeigen.

Dieter Basener