BTHG – Zukunft der Werkstätten? Entwurf des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) erarbeitet
Blogbeitrag von Gerd Hoßbach
(Geschäftsführender Vorstand Werraland Werkstätten e.V., Vorsitzender des Beitrates der Europa-Akademie)
Bisher
ist es nicht veröffentlicht, aber das neue BTHG wird wohl kommen. Zurzeit
liegt ein Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales
vor.
Im
Mai dieses Jahres, so verkünden „Insider“, soll das BTHG zur ersten Lesung in
den Bundestag. Wer hätte das zu diesem Zeitpunkt vermutet – es war „still
geworden“ in den letzten Monaten in dieser Fragestellung.
Im
Rahmen der letzten Werkstätten:Messe 2015 hatte Ministerin Andrea Nahles diese Zeitschiene für das BTHG genannt. Von
vielen ob dieses kurzen Zeitfensters belächelt, scheint die Ministerin sich an
ihren „Fahrplan“ halten zu wollen. Im
Jahr 2017 soll ein die sozialrechtliche Landschaft stark veränderndes neues
Bundesteilhabegesetz kommen.
Es
ist noch nicht deutlich, welche Inhalte und Rahmenbedingungen für die
Leistungserbringer den zukünftigen Rahmen setzen.
Nur so viel: Das BTHG stellt vieles in Frage.
Die
Intensionen zum einen, die UNBRK und zum anderen die kontinuierlich steigenden
Kosten der Eingliederungshilfe bilden ein schwieriges Umfeld für eventuelle
Verbesserungen der Lebens- und Arbeitssituation behinderter Menschen in unserem
Land.
Die Arbeits-
und Sozialministerkonferenz (ASMK) der Länder hat in einem einstimmigen mehrjährigen Diskussionsprozess
diesen Gesetzentwurf vorbereitet.
Im
Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode haben die Koalitionsparteien
CDU/CSU und SPD sich auf ein neues Gesetz, BTHG, auf dem Hintergrund der UNBRK
und fiskalischer „Notwendigkeiten“ verständigt.
Die
Koalitionsparteien haben sich darauf verständigt, die berufliche Teilhabe von
Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu begleiten und so
die Beschäftigungssituation nachhaltig zu verbessern.
Der
Übergang zwischen Werkstätten für Menschen mit Behinderung und dem ersten
Arbeitsmarkt soll erleichtert, Rückkehrrechte garantiert und die Erfahrungen
mit dem „Budget für Arbeit“ einbezogen werden.
In
den nächsten Ausgaben des Europa-Akademie-Newsletter werden wir Sie mit den Kernaussagen des
Entwurfes aus dem BTHG konfrontieren.
Wir
beginnen heute mit § 60 (im Entwurf BTHG)
Andere Leistungsanbieter (… zitiert aus dem
Entwurf):
(1) „Menschen
mit Behinderungen, die Anspruch auf Leistungen nach § 57, 58, haben, können
diese auch bei einem anderen Leistungsanbieter in Anspruch nehmen.“
(2) „Bei anderen
Leistungsanbietern gelten die für Werkstätten für behinderte Menschen geltenden
Vorschriften mit folgenden Maßgaben:
Andere
Leistungsanbieter
1)
bedürfen nicht der förmlichen Anerkennung
2)
müssen nicht über eine Mindestplatzzahl und die für die Erbringung der
Leistungen in Werkstätten erforderliche räumliche und sächliche Ausstattung
verfügen,
3)
können ihr Angebot auf Leistung nach (§§ 57 oder 58) oder Teile solcher
Leistungen beschränken,
4)
sind nicht verpflichtet, leistungsberechtigten Menschen mit Behinderung
Leistungen nach (§§ 57 oder 58) zu erbringen, wenn und solange die
Leistungsvoraussetzungen vorliegen.“
(3) „Eine
Verpflichtung des Leistungsträgers, Leistungen durch andere Leistungsanbieter
zu ermöglichen, besteht nicht.“
° Andere
Leistungsanbieter als Alternative zur Werkstatt?
° Das Wunsch-
und Wahlrecht für behinderte Menschen wird erweitert?
° Wer fragt
nach der Qualität der Dienstleistungsangebote?
° … und andere
Fragen …
Diskutieren Sie mit uns!
Was erwarten Sie von den beschriebenen Änderungen?
Was
ist Ihre Meinung zum geplanten BTHG?
Was erwarten Sie von den beschriebenen Änderungen?
2 Kommentare:
Was lange währt wird ...
Ca. 280.000 Werkstattmitarbeiter sind im Arbeitsbereich der 730 WfbM tätig. Bis zu 5% davon könnten im allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden und mittelfristig den Anforderungen und dem Arbeitstempo entsprechen - wenn die Rahmenbedingungen stimmen und ein angemessener Minderleistungsausgleich lebenslang gezahlt wird. Allerdings treten die Werkstattmitarbeiter in Konkurrenz zu 2.911.000 Arbeitslosen (darunter 180.000 Schwerbehinderte). Das Budget für Arbeit soll bis zu 75% der WfbM-Kosten plus Kosten für Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz umfassen. Das wäre prima. Der individuelle Bedarf nach § 115 BTHG muss bundeseinheitlich ermittelt und dafür die gleiche Leistung gewährt werden. Eine Regionalisierung der Leistung durch Rechtsverordnung der Länder ist inakzeptabel. Die Qualität bei anderen Anbietern ist durch die Agentur für Arbeit zu gewährleisten – vgl. AZAV-Zertifizierung Berufsbildungsbereich der WfbM. Das BTHG eröffnet damit einerseits mehr Wahlfreiheit für Teilhabe im allgemeinen Arbeitsmarkt und gewährleistet andererseits die Teilhabe am Arbeitsleben in WfbM – das ist gut.
Christoph Schnabel, Bereichsleiter, WfbM Diakonie am Thonberg, Leipzig
Lieber Herr Schnabel,
ich möchte Ihnen in zwei Dingen widersprechen. Zum einen darin, dass Werkstattbeschäftigte bei einer Vermittlung auf den Arbeitsmarkt die betriebsüblichen Anforderungen und das Arbeitstempo erfüllen müssen, dass von anderen Beschäftigten verlangt wird. Für eine Minderleistung erhält der Arbeitgeber ja gerade den Minderleistungsausgleich. Zum anderen ist es nicht richtig, dass Werkstattmitarbeiter mit den drei Millionen Arbeitslosen konkurrieren. Werkstattbeschäftigten müssen sich nicht den üblichen Bewerberverfahren unterziehen, bei dem sie in der Tat kaum eine Chance hätten. Ihre Vermittlung gelingt vielmehr mit dem Modell der Unterstützten Beschäftigung. Es umgeht die Stellenausschreibungen und sucht über individuelle Absprachen mit dem Betrieb eine passgenaue Tätigkeit. Die Betriebe müssen die Beschäftigten nicht selber einarbeiten und sind im Krisenfall mit dem Problem nicht allein. Sie zahlen die Leistung, die der Beschäftigte tatsächlich erbringt. Das Ganze ist also eine „Vermittlung durch die Hintertür“.
Wie erfolgreich dieses Vorgehen sein kann, beweist die Hamburger Arbeitsassistenz. Sie hat in über 20 Jahren ca. 20% der Werkstattberechtigten mit geistiger Behinderung in Hamburg in tariflich entlohnte Arbeit vermittelt, die meisten von ihnen sogar ohne eine dauerhafte Lohnkostensubvention. Das zeigt auch, dass Sie mit ihrer Prognose einer möglichen Vermittlungsquote von 5 % zu niedrig liegen. In Hamburg können die Werkstätten mit dieser Konkurrenz gut leben.
Warum Sie auf einer bundeseinheitlichen Regelung beim Lohnkostenzuschuss im Budget für Arbeit bestehen, ist mir unklar. Wenn Hamburg mehr Lohnkosten übernimmt als Sachsen, werden Ihre Beschäftigten kaum von Leipzig nach Hamburg ziehen. Mir macht mehr Sorge, dass der Gesetzgeber die Leistungsträger beim Budget für Arbeit und bei den anderen Anbietern ermächtigt, Leistungen ohne weitere Begründung nicht zu gewähren. Das erscheint mir willkürlich und steht der intendierten Wahlfreiheit entgegen.
Ansonsten stimme ich mit Ihnen überein, dass die Neuregelungen für die berufliche Teilhabe im BTHG ein Schritt nach vorne sind. Wie sich auswirken, werden die nächsten Jahre zeigen.
Dieter Basener
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